Vortrag von Melanie Schiller beim Workshop "The Sound of Germany. Wie politisch ist der deutsche Pop?"
Der Vortrag hatte den Titel "Wir sind 80 Millionen und mein Klopapier ist Schwarz-Rot-Gold. Deutscher Pop, banaler Nationalismus und die Lage der Nation".
“Deutschrock”-Legende Heinz Rudolf Kunze beschreibt die Nation als ein „Nervöses Reich der Mitte“ in seinem Lied „Deutschland“ auf dem gleichnamigen Album (2016) - dessen Cover passenderweise eine Baustelle zeigt. Fast zeitgleich feiert der „Pop Poet“ Max Giesinger mit seiner banal nationalistischen Liebeshymne „80 Millionen“ einen großen Hit (2016), die „Heimatliebhaber“ Frei.Wild gewinnen einen Echo, der Rapper Samy Deluxe erzählt, dass sein Klopapier Schwarz-Rot-Gold ist (2016), und EKO Fresh singt ein ironisches Liebeslied für die rechtspopulistische Frauke Petry: “Nur für dich (Liebeslied für Frauke)” (2016). Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass das Thema „Deutschland“ wieder heiß umstritten ist, nicht zuletzt auch in der Populären Musik.
Musik spielt seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert eine wichtige Rolle in der Entstehung von National-Staaten und der Instandhaltung von nationalen „imagined communities“ (Anderson 1983). Die Nation, als sozial konstruierte Einheit, wird durch Musik dargestellt, repräsentiert, und gefeiert: Nicht umsonst sieht Anderson das gleichzeitige Singen der Nationalhymne als stärkstes Bindeglied der Nation: “Nothing connects us all, but imagined sound.” (1983, 6). Die Nation wird aber auch in und durch Musik hinterfragt, kritisiert und durch perfomative Musikpraktiken transformiert (Schiller 2018). Populäre Musik als Alltagskultur (DeNora 2002) spielt dabei eine wichtige Rolle im „Erzählen“ der Nation (Bhabha 1990), und Pop kann ein Element des alltäglichen „Flaggens“ Nationaler Identität (Billig 1995) sein.
In diesem Kontext wäre zu reflektieren, welche Identitäten mit der Nation verquickt werden. Vor allem fällt ins Gewicht, dass das Nation-Konzept seit dem 19. Jahrhundert ein männliches ist. Männer schreiben Nationalhymnen, Nationaldramen, sind Nationalhelden. Welche Rolle spielen demgegenüber Frauen im Gegenwartspop für die Konstruktion der deutschen Nation? Ist die ‚deutsche Nation‘ heute ein weiblicheres Konzept?
Deutschland hat bekanntlich spätestens seit Ende des zweiten Weltkrieges „ein Identitätsproblem“ wie der Trance DJ Paul van Dyk es ausdrückt (vgl. Schiller 2017). Die Nation kann sich nicht unproblematisch auf die notwendigen „retrospektiven Illusionen“ (Balibar 1990) oder Ursprungsmythen beziehen (Renan 2006) ohne die eigene Geschichte anerkennen zu müssen; Gleichzeitig stellt diese Geschichte aber auch eine Herausforderung dar für nationales „vergessen“ (idem.). Ist es somit das Schicksal Deutschland’s ewig „nervös“ zu bleiben wie Heinz Rudolf Kunze es ausdrückt? Und was sagt uns eigentlich Helene Fischer dazu?
In diesem Beitrag möchte ich einige der musikalischen Aushandlungen und performativen nationalen Erzählstrategien im Deutschen Nachkriegspop – von Schlager bis Techno – nachzeichnen, um aufzuzeigen inwiefern Künstler wie Sookee, Jennifer Rostock, EKO Fresh und Samy Deluxe in einer Tradition der Deutschen Pop-National-Kritik stehen. Max Giesinger’s „80 Millionen“ dahingegen, so werde ich argumentieren, stellt mit seiner vermeintlich unpolitischen Liebesgeschichte eine neue – beunruhigende – Ausrichtung eines banal-Nationalistischen-Deutschpop‘s dar, der uns gleichzeitig einen wichtigen Einblick in die gegenwärtige „Lage der Nation“ bietet.
Ziel der Maßnahme ist es, in einem Forschungsbereich, der von Männern dominiert ist, strategisch Frauen sichtbar zu machen und daher zu dieser Tagung einzuladen. Frau Dr. Schiller ist eine Nachwuchswissenschaftlerin, die sich im Bereich der Pop-Forschung bereits einen Namen gemacht hat. Sie wird unseren Workshop eröffnen. Auch inhaltlich hat sich Frau Schiller mit Genderfragen auseinandergesetzt.
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Germanistisches Institut
Abteilung Neuere Deutsche Literatur
Stein-Haus, Schlossplatz 34
48143 Münster